Ziemlich genau 25 Jahre und etwas mehr als zwei Sonnenzyklen nach meiner ersten Polarlichtexpedition in Finnisch-Lappland war ich Anfang Februar für drei Tage in Tromsø, 300 km nördlich des Polarkreises. Mittlerweile gilt der Ort in Nordnorwegen als Mekka der Polarlichtreisenden, um die herum eine ganze Tourismusindustrie gewachsen ist.
Tag 1: Spektakel auf dem Storsteinen
Auf der Anreise sind aus dem Flugzeugfenster heraus bereits erste Polarlichter auszumachen. Nach der Landung finden wir uns hingegen unter bedecktem Himmel wieder. Dennoch fahren wir gegen 20 Uhr mit der Fjellheisen-Seilbahn auf den Storsteinen, Tromsøs Hausberg gut 400 Meter über der Stadt. Und während der gerade mal fünfminütigen Fahrt klart es plötzlich auf. Oben angekommen keine Wolke mehr am Himmel – stattdessen helles Polarlicht! Jetzt noch ein paar Minuten zu Fuß, um den Lampen des hiesigen Cafés und insbesondere einer grellen Baustellenbeleuchtung sowie den ärgsten Touristenmassen zu entkommen. Keine Minute zu früh: Über uns läuft eine Riesenshow in grün. Die Dynamik der Lichter übertrifft alles, was ich an Aurora jemals erlebt habe. Wabernde Bänder aus Licht, die in Sekunden über den ganzen Himmel tanzen – während der größten Aktivität buchstäblich wie ein Feuerwerk der Natur. Das manchmal vom Café herüberwehende enthusiatische Kreischen legt nahe, dass die anderen Hergereisten das ähnlich empfinden.
Es heißt, dass Bilder von Polarlichtern einen falschen Eindruck von dem visuellen Erlebnis vermitteln, vor allem was die Farbenpracht betrifft. Das ist in aller Regel auch zutreffend – an diesem Abend war die Intensität der Wahrnehmung hingegen so stark, dass insbesondere die mehrmals für wenige Sekunden auftretenden in grünen und roten Farben züngelnden feuerwerksähnlichen Lichtbänder mit bloßem Auge spektakulärer erschienen als ein unbewegtes Bild – im wahrsten Sinne des Wortes live und in Farbe. Gleichwohl haben wir natürlich auch Fotos gemacht:


Tag 2: Lady Aurora, Sami-Kultur und Flickr-Tourismus
Für den zweiten Tag haben wir eine geführte Polarlichttour gebucht. In Erwartung schwieriger Wetterverhältnisses schien es ratsam, die teilweise mehrere hundert Kilometer lange Jagd nach Wolkenlücken den Einheimischen zu überlassen. Zumindest das war nicht notwendig: den ganzen Tag keine Wolke am Himmel. Allerdings: Während es am Abend zuvor auf dem Storsteinen bei Temperaturen um den Gefrierpunkt sehr angenehm war, weht nun ein steifer Wind, der die gefühlte Temperatur auf zweistellige Minusgrade sinken lässt.
So besteigen wir einen von den unzähligen Bussen, die in der Saison abends in Tromsø ablegen, um Touristen aus aller Welt die Aurora Borealis näherzubringen. Da das Wetter freie Auswahl zulässt, fährt unser mit 19 Personen vollbesetzter Kleinbus zur ehemaligen Farm des Tromsø Friluftsenter gut 40 Minuten von der Stadt entfernt. Schon beim Aussteigen zeigt sich „Lady Aurora“ in ganzer Pracht am Himmel. Leider ist es das wichtigste Anliegen unserer freundlichen Gastgeberin, Fotos von allen Reisenden mit Polarlicht im Hintergrund zu machen – der zu diesem Zweck eingesetzte Strahler macht nicht nur die Dunkeladaption der Abgelichteten völlig zunichte, sondern lässt auch eigentlich Unbeteiligten wenig Chance auf Dunkelheit. Überhaupt ist der Begriff des Rotlichts ein Fremdwort – überall hantiert und fuchtelt man munter mit Handy-Displays, Taschenlampen und ähnlichem Gerät. Der geneigte Amateurastronom würde eigentlich vor so einer Rotte „Weißlichtsauen“ Reißaus nehmen…
Dennoch: Am kleinen Strand der Farm gibt es genügend Freiraum, um den Blick halbwegs ungestört gen Himmel zu richten. Und wie am Vortag ziehen Polarlichtbänder über das ganze Firmament. Mehrmals ist eine spektakuläre Corona zu sehen. Nach eineinhalb Stunden geht die Aktivität etwas zurück, und wir sind froh, im Sami-Zelt der Farm am Lagerfeuer bei Heißgetränken Geschichten aus früheren Zeiten zu lauschen.
Visuell erschienen die tanzenden Bögen am Vortag spektakulärer – die Fotos zeigen jedoch noch mehr Farbe als am Storsteinen.




Tag 3: Leiser Abschied
Auch am dritten Tag blieb uns das Wetterglück hold – sieht man von dem noch stärker werdenden Wind ab. Mit dem Mietwagen erkundeten wir tagsüber beeindruckende Fjordlandschaften in der tiefstehenden Mittagssonne. Für die Nacht konnten wir uns dabei einen schönen Standort in 250 Metern Höhe etwa 25 km Luftlinie von Tromsø heraussuchen. Der Abend bringt dann mehrere Erkenntnisse:
- Allein ist man des nachts rund um Tromsø nie. An der Landtraße treffen wir immer wieder auf kleinere und größere Gruppen von Polarlichtjägern. Auch an unserem eigentlich abgelegenen Parkplatz sind noch ein paar weitere Aurora-Interessierte zugegen. Immerhin bleiben wir von größeren Bussen verschont.
- Die Lichtverschmutzung in der Gegend ist erstaunlich. Die Lichtglocke von Tromsø zeigt sich hoch am Himmel. Und auch kleinere Ortschaften strahlen immens viel Licht ab. Gemäß Lightpollutionmap sind die Verhältnisse vergleichbar mit einer fünf- bis zehnmal größeren Stadt wie Hannover.
- Lady Aurora tanzt nicht jeden Abend. Angekommen an unserem Standort sehen wir erstmal – nichts. Nach etwa einer Stunde sind dann tief im Norden einige Lichtbögen auszumachen, allerdings bei weitem nicht so spektakulär wie an den Vortagen. Ein leiser Abschied nach einer großen Party.


Fazit
Es waren drei spektakuläre Nächte. Nimmt man Wetter und Polarlichtaktivität zusammen, hätte man diese Saison wohl kaum drei bessere Tage am Stück finden können. Insbesondere das Lichterfeuerwerk vom Storsteinen wird im Gedächtnis bleiben. Die Gegend um Tromsø bietet auch tagsüber viel zu entdecken und ist durch den nahen Golfstrom nicht ganz so kalt wie gleiche Breiten weiter östlich. (Glaubt man den Einheimischen, soll der Wind auch nicht immer so heftig sein…)
Diese positiven Faktoren locken mittlerweile unzählige Touristen aus aller Welt in die Region, um einmal das Polarlicht zu sehen. Man mag es als Fluch oder Segen ansehen – persönlich würde ich mir von den heimischen Touristenführern etwas mehr „astronomische Sensibilisierung“ im Sinne einer Dunkeladaption und der Verwendung von Rotlicht wünschen. Noch etwas mehr Abgeschiedenheit und auch mehr Dunkelheit dürfte man in Finnland etwa in der Gegend des Inarisees finden – aber auch mehr Kälte und weniger Ausweichmöglichkeiten bei schlechtem Wetter.
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